August 9, 2010
Die Vorbereitung gestaltet sich ein wenig komplizierter als sonst…
für den zweitägigen R’adys Mountain Marathon, welcher dieses Jahr auf dem Berninapass im Oberengadin stattfand. Zu den sonst üblichen Berglauf-Utensilien (Gore-Tex-Jacke und wärmende Armlinge, Beinlinge inkl. Kappe und Handschuhe, Notfallpotheke, Essen für unterwegs) musste für diesen Event auch Zelt, Schlafsack, Kocher und Essen (also ziemlich fast der halbe Haushalt) mitgetragen werden, denn dieser Berglauf wird zu zweit ohne externe Unterstützung bestritten. Wohl oder übel wurden so mein Laufpartner Jörn und ich auch zu Gewichtsfetischisten beim Packen. Die grössten Schwergewichte waren hier sicherlich das Zelt, Schlafsack und – matte sowie der Kocher. Es hört sich zwar nach nicht viel an, aber beim Zusammenstellen dieser Utensilien kommt ein ganz passables Paket beisammen – mit welchem ihr auch noch durch die Berge rennen wollt.
Trailrun und Material-Test zugleich
Auf der Suche nach Funktionalität und Leichtigkeit konnte ich zum Glück auf Material zurückgreifen, welches ich an diesem Weekend nicht für alles in der
Welt weggegeben hätte… es handelte um die Gore-Tex Trailrunning- Schuhe, den Laufrucksack und die Gore-Tex Jacke von Salomon, den
Optimus-Kocher „Crux Light“, den 500gr Yeti-Schlafsack und die Thermarest Ultralight Isomatte. Zusätzlich hatten Jörn und ich uns für zwei ultra-leichte Einerzelte entschieden. Ein paar wenige, leichte Sachen, die das Leben da Draussen den Umständen entsprechend komfortabel machen können. Da Regen und kalte Temperaturen angesagt waren, kamen noch ein paar extra Fleece-Hosen und ein Pulli dazu. Einem Wunder hin gleich kommend passte trotzdem alles in unsere beiden 20l-Rucksäcke. Ein zusätzliche angecliptes Brusttaschenfach machte Platz für das Essen unterwegs und die Kleidung, die gerade zur Hand sein musste. Es konnte also los gehen…
Am Start auf der Lagalp und der erste Tag
Mit anderen 140-OL und -Berglaufteams starteten wir am Samstag bei der Bergstation Lagalp unterhalb des Berninapasses. Bei noch trockenem Wetter und mit sogar ein wenig Sonnenschein -beides sollte nicht mehr allzu oft während unseren bevorstehenden Laufkilometern vorkommen… Zu meiner Überraschung waren im Vergleich zu den anderen LäuferInnen unsere Rucksäcke klein, da wurden ganz andere Kaliber herumgeschleppt. Unser pingeliges Packen mit leichtem und kompaktem schien sich da zu lohnen. Nach dem Startschuss konnten Jörn und ich unsere Karte entgegennehmen, welche uns die zwei Tage hindurch im Gebiet des Berninapasses als Guide diente – wenn wir sie hoffentlich denn auch richtig interpretierten (Wegmarkierungen gibt es bei diesem Rennen keine). Als Kontrolle für Sicherheit und Fairness mussten pro Tag jeweils 8 Posten angelaufen werden, wo sich jedes Team mittels einem Daten-Chip zu registrieren hatte. Nach dem ersten Posten beim Lai Minor steuerten wir wieder in Richtung Bernina Ospiz zu, wonach über die Alp Grüm ein weiterer Bergsee oberhalb des Puschlavs anzulaufen war. Der Rucksack machte den Anstieg nicht gerade leichter, aber Jörn und ich waren ganz ok unterwegs und fanden einen guten Rhythmus. Aufziehende und sich verdunkelnde Wolken kündeten den vorausgesagten Regen an, oder vielleicht sogar Schnee??.. Im Lauf-Flow verpassten wir doch dann tatsächlich eine Wegabzweigung und sind zu weit gerannt. Entweder man stösst behutsam ein paar unschöne Worte aus oder nimmt es mit einem gewissen Humor. Wir taten, eins nach dem anderen, beides.
Just in time
Wieder zurück auf der richtigen Wegroute, fing es nun zu regnen an. Dass wir auf unserem Umweg Zeit verloren hatten, machte uns momentan aber weniger Sorgen, als dass wir vor der grossen Regenflut im Camp ankommen und unser Zelte aufstellen wollten. Wir gaben noch einmal die Sporen und überquerten die Ziellinie des ersten Tages, zwei Minuten später waren wir schon am Zelt aufstellen. Nach fünf Minuten schleuderten wir unsere Rucksäcke und durchnässten
Laufsachen hinein, als der Himmel seine Schleusen zu öffnen begann. Jörn und ich entschlossen uns für einen Power-Nap im trockenen Zelt mit bequemer Isomatte und warmen Schlafsack (traumhaft!). Den Hunger versuchten wir mit ein paar Riegeln und Trockenfrüchten zu stillen.
Kochstudio im Dauerregen und 4-Gänger
Nach Power-Nap mussten wir einsehen, dass das Kochen heute wohl oder übel eine nasse Sache werden würde. Es goss in Strömen, aber der Hunger trieb uns aus den Zelten, um einen geeigneten Kochplatz zu finden. In der Nahe gelegenen Alp hatten ein paar Läufer im leeren Stall Zuschlupf gefunden. Aber aus brandtechnischen Gründen entschlossen wir uns, trotzdem draussen zu kochen. Mein Optimus Solo-Kocher-Winzling erwies sich als nicht nur sehr leicht, sondern auch als äusserst robust und feuerstark. So folgte einem Bünder Gerstensüppchen als zweiter Gang gefriergetrocktnetes Rind mit Reis, dann Schnellkochpolenta mit Parmesan sowie eine Packung Peronin als Schokoladensauce-Dessert zum Abrunden. Ein 4-Gänger der halt etwas anderen Art. Viele Teams bekundeten Mühe mit Ihren Kochern oder anderen Feuerquellen. Resultat: Man sitzt mit Hunger da und hält eine Packung Schnellkochteigwaren in der Hand… nur fehlt das heisse Wasser, um das ganze auch irgendwie essbar zu machen. Mein kleiner Kocher macht Jörn und mir dies alles möglich und somit steigt dieser Kocher bei meiner „favourite tools-Liste“ in die ganz oberen Ränge empor.
Die Einfachheit macht es trotz Kälte und Nässe aus…
Kennt ihr dies auch – immer wieder fragen Freunde und Bekannte nach dem Grund und der Motivation, um an solchen Events teilzunehmen. Fast mitleidig wird da manchmal gefragt. Die Antworten sind für „Uneingeweihte“
wahrscheinlich schwierig zu verstehen, aber ich würde ich es mal mit Ursprünglichkeit, Naturnähe, Purheit, Lauf- und Lebensfreude zu umschreiben versuchen. Vielleicht ist es aber eben ganz einfach die Einfachheit, die man so
zu schätzen lernt. Man buckelt sein Hab und Gut laufend über die Berge und ein Micro-Mini-Platz-Zelt wird zur luxuriösen Übernachtungsgegelegenheit. Oder eben eine Tasse warmer Suppe im Dauerregen. Oder ein Alpbrunnen mit gutem Wasser….. Dinge, die wir sonst gar nicht mehr bemerken. Es reduziert das Leben auf eine Einfachheit, die man sonst in unserer Welt nur noch schwer findet.
Start am zweiten Tag in Nebelschaden
Die Nacht hindurch goss es Bindfäden, heftige Gewitter wechselten sich mit Sturmböen ab. Mein grösstes Unbehagen im Vorfeld dieses Rennens galt der Bergnacht, welche mit leichtem Material doch schnell ziemlich frostig kalt werden könnte. Zu meiner Erleichterung schüttelten mich während der Nacht keine Kälteschübe. Es war eigentlich sehr gemütlich in meinem Zeltchen…. wenn man einfach nicht ans Aufstehen dachte. Die ganze Nacht hindurch waren andere Läufer zu hören, die ihr Zelt aus einem beginnenden See verschieben mussten oder eine Plastikfolie als zusätzlicher Regenschutz aufs Zelt anbringen mussten – mit kräftigen Windstössen kein leichtes Unterfangen. Um 5h erfolgte ein Böllerschuss – das unüberhörbare Zeichen, dass die gemütlichen Stunden zu Ende waren und man sich dem
Bergwetter und den erneuten Höhenmetern stellen musste.
Beim Jagdstart nach 7h in der Früh goss es immer noch wie aus Kübeln – aber was soll’s….. Einige Teams sind durchweicht und durchfroren von der Nacht und mögen sich nicht mehr dem zweiten Tag stellen. Die nahe gelegene Rhätische Bahn mit einer Fahrt ins Tal ist natürlich verführerisch. Jörn und ich nehmen aber unsere Rucksäcke auf den Buckel und zotteln, der heutigen Route folgend, in die Nebelschwaden davon. Schnell ist man von der Anstrengung von Aussen und von Innen nass. Da gibt’s nur eines: Alles ausziehen, was als schützende Aussenschicht nicht dienlich ist und den Körper durch Bewegung warm halten. Der Rucksack hat wegen der nassen Kleidung und dem nassen Zelt doch langsam ein stattliches Gewicht und es ist wirklich ein Wetter, wo nicht einmal ein Hund vor die Türe gejagt wird.
Nass, nasser, am Nassesten…
… oder wie der Superlativ hier immer heissen mag. Denn durch den starken Regen waren natürlich die Bergbäche von sanften Wässerchen in rauschende Ströme verwandelt worden. Bei der ersten Durchquerung versuchten wir noch Steine ausfindig zu machen, über welche man hinweg springen konnte. Da dieses Projekt aber oft einen grossen Umweg mit sich zog (und auch nicht immer so trocken blieb), liessen wir diesen Vorsatz und wateten sodann kniehoch durch die Bäche. Es kommt der Punkt, wo nass nicht mehr nässer werden kann….
Mit dem Piz Lanquard liegt auch das Ziel in Pontresina nicht mehr fern
Nachdem der Diavolezza-See passiert war (also dieser wenigstens aussen rum…), führte unsere Route über einen zweiten zünftig steilen Anstieg. Der Trail führte über eine hochalpine Schotterebenen und entlang des
Berghanges des Piz Languard und… der Regen hörte auf und der Himmel begann sich zu lichten. So wurde das Laufen wieder zum puren Genuss und liess schnell alle unangenehmen Momente dieser zwei Tage vergessen. Wir stiessen auf den Hüttenweg, welcher für uns bedeutete: Nun noch runter Rollen bis ins Tal bis nach Pontresina ins Ziel. Ein stetiger Gratlauf zwischen „Beine laufen lassen“ und Trittsicherheit mit Rucksack war nun gefragt, gerade auch mit zunehmender Müdigkeit und abnehmender Konzentration. Schneller als erwartet kam die Dorfstrasse von Pontresina näher und es empfing uns eine angenehm warme Temperatur und ein dritter Rang im Ziel. Nach zwei Tagen zog ich das erste Mal wieder meine Mütze vom Kopf. Jörn und ich waren erschöpft, immer noch nass und schon ein wenig abgegkämpft. Aber wir hatten die zwei Tage den Naturgewalten nicht kleinbein gegeben und hatten v.a. unseren Humor nicht verloren. Das ist doch einfach Berglaufen und Leben pur.
Als Schluss-Fazit von meiner Seite kann ich sagen: Nass war’s, ungeheuer fein und erlebnisreich war’s aber auch. Geht raus und schaut euch die Sache selbst an bzw. nehmt euren Laufrucksack und rennt das nächste Mal mit – die Badewanne zu Hause nach dem Rennen ist noch 10’000 mal schöner als sonst…